Unser Verein

Vereinsgeschichte
 
Vor 104 Jahren haben mutige Gehörlose wie z.B. der Gründer und 1. Vorsitzende Reinhard Barthel und auch die nachfolgenden Vereinspioniere Paul Eulenberger, Karl Witteborn und G. Bölke erkannt, dass sie nur in einer Gesellschaft stark sein und sich in der Öffentlichkeit behaupten können. Damals hatten es die Gehörlosen in der hörenden Welt nicht leicht und wurden oft als Menschen 2. Klasse betrachtet. Aber das Ziel der Vereinsgründung war, alle Gehörlosen aus ihrer Isolation herauszuholen, um sie in die Schicksalsgemeinschaft zu integrieren und auch ihnen in der Not zu helfen.
 
Der Gehörlosenverein „Dr. Martin Luther“ wurde im Jahr 1911 gegründet und das erste Treffen unter 1. Vorsitzender Reinhard Barthel aus Hohndorf bei Wittenberg fand in der „Restaurant Bölke“, Lutherstraße 7 in Wittenberg statt und später hat immer an einem 2. Sonntag im Monat stattgefunden.
 
Laut Archiv hatten im Jahr 1936 unter Vorsitz Albert Ziemke 38 Mitgliedern.
 
Von 1957 bis 1975 war Friedrich Herrmann der 1. Gruppenleiter von Allgemeine Deutsche Taubstummen-Verband der DDR, Kreisorganisation Wittenberg, die Mitgliederzahlen ca. 30 (da gab es außerdem noch ein Gehörlosen-Sportverein Wittenberg, hauptsächlich wurde Kegeln betrieben).
 
Dann wurde Erwin Renner von 1975 bis 1985 1. Gruppenleiter, zu dieser Zeit gab es 30 bis zu 38 Mitglieder und bei der Versammlung fanden in Räumlichkeiten von damaligen Kreiskulturhaus „Maxim-Gorki“ (heute KTC), Lutherstraße 41 – 42, statt.
 
Am 23. März 1985 wurde Hans-Jürgen Kapper als 1. Gruppenleiter gewählt und funktionierte weiterhin als 1. Vorsitzender bis zu seinem Tode am 19. November 1999 und zu dieser Zeit entwickelte sich die Mitgliederzahlen von 39 bis zu 60 und fanden bei der Versammlung zuerst im Kreiskulturhaus bis 1994, dann in der Begegnungsstätte von der Beratungsstelle, Schulstraße 42a, statt.
Aufgrund unerwarteten Todes der bisherige Vorsitzender Hans-Jürgen Kapper übernahm sein Bruder Uwe Kapper sein Amt zuerst für 1 Jahr kommissarisch und seit 2000 ist er gewählter Vorsitzender. Zu diesem Zeitpunkt stiegen die Mitgliederzahlen auf Rekordhöhe 82 und heute haben wir 64 Mitglieder. Bis 2004 fanden viele verschiedene Veranstaltungen in der Begegnungsstätte, Schulstraße 42a, statt. Aufgrund des Abriss der Begegnungsstätte sind wir auf eigenem Wunsch in einem anderen Objekt zu suchen, wurde gefunden und zwar in Dessauer Straße 13, leider nach nur 2 Jahren wegen Probleme mit der Vermieter sind wir (wieder mal) gezwungen in ein andere Objekt zu finden, zum Glück befindet der neue Objekt gleich um die Ecke und wurde im Juli 2006 eingezogen. Diesen Objekt nennt man unser „Gehörlosenzentrum“ und wir fühlen bisher heimisch. Man muss bedenken, dass das Gehörlosenzentrum der 1. Gehörlosenverein in Sachsen-Anhalt der eigene Regie übernimmt.
 
104 Jahre Vereinsleben sind auch 104 Jahre verdienstvolle Arbeit von Frauen und Männern, die in guten wie in schweren Zeiten zusammenstanden, um das Weiterbestehen des Vereins zu sichern und ihn zu führen.
 
Wir wollen besonders derer gedenken, die den Verein gegründet haben. Stellvertretend für sie alle möchten wir den verstorbenen Vorsitzenden Hans-Jürgen Kapper nennen, dem wir besonders viel zu verdanken haben. Fast 20 Jahre hat er unseren Verein geleistet. Auch zu danken haben wir seinen Vorgängern Erwin Renner, Fritz Herrmann, Paul Eulenberger und Reinhard Barthel, die jahrelang den Verein geleitet haben.
 
Mit Stolz und Freude kann der Verein auf das Erreichte hinweisen. Der Dank gebührt aber auch den Mitgliedern, die dem Verein ein Leben lang die Treue gehalten haben. Wir wissen, dass unser Verein für uns Gehörlose lebensnotwendig ist. Der Verein ist „die Heimat der Gehörlosen“.
 
In den letzten Jahren wurde das Betätigungsfeld unseres Vereins erweitert und zwar mit einer Senioren- und Frauenbeauftragten sowie Beauftragte für Freizeit/Jugend und Arbeitslose.
 
Diese Zielsetzung hat bis in unsere heutige Zeit nichts an Wichtigkeit und Aktualität verloren. Der Verein leistet Selbsthilfe: Betroffene helfen Betroffenen. In dieser langen Zeitspanne geschahen auch politische, gesellschaftliche und soziale Veränderungen, die auch die Mitglieder des Vereins zu verkraftet hatten. In dieser Zeit war der Gehörlosenverein immer eine der wichtigsten Anlaufstellen, um sich mit ihrer eigenen Sprache, der Gebärdensprache, einander mitzuteilen.
 
In Zusammenarbeit mit dem Gehörlosengemeinschaft Sachsen-Anhalt e.V. war unser Verein zugleich auch ein ausführendes Organ der sozialen Arbeit. Auf diesem Gebiet konnten wir in solidarischer Zusammenarbeit viele Erfolge erzielen. Trotz allem, was auf sozialem Gebiet erreicht wurde, bedeutet dies nicht, dass wir uns nun auf Lorbeeren ausruhen können. Hier müssen wir weiter mit Hilfe von hörenden Freunden und Helfern weitere Verbesserungen auf dem Gebiet der Gehörlosen-Rehabilitation anstreben. Bei den derzeitigen Sparmaßnahmen und dem Sozialabbau gilt es, Solidarität aller Gehörlosen zu üben, um unseren berechtigen Forderungen Nachdruck zu verleihen.
 
An dieser Stelle danke ich dem Vorstand, der bislang gute Arbeit im Gehörlosenverein geleistet hat. Ihm ist es zu verdanken, dass der Gehörlosenverein Wittenberg mit 64 Mitgliedern zu den größten Gehörlosenvereinen in unserem Gehörlosengemeinschaft Sachsen-Anhalt e.V. zählt.
 
 
Ehemalige Uwe Kapper
Für den Vorstand des
Gehörlosenvereins Wittenberg e.V.
 

10 Jahre Gehörlosenzentrum Wittenberg
 
Der Gehörlosenverein Wittenberg wurde bereits 1911 gegründet und ist damit heute 103 Jahre alt. Früher fanden Veranstaltungen des Vereins in wechselnden Räumlichkeiten statt—vor der Wende meistens im Maxim-Gorki-Kulturhaus (heute Kultur- und Tagungscentrum). Nach der Wende musste der Verein die Mietkosten selbst tragen, weshalb uns von der Stadt im Jahre 1994 empfohlen wurde, in die Begegnungsstätte für Sinnesbehinderte in der Schulstraße einzuziehen. Dort waren wir bis 2004 untergebracht.
Zu dieser Zeit stieg die Zahl der Mitglieder von etwa 35 während den 80er Jahren auf über 50. Darunter waren auch viele junge Mitglieder, die sich regelmäßig zur Freizeitgestaltung (Dart, Bowling, Stammtisch…) trafen. Langsam wurden die Räumlichkeiten in der Begegnungsstätte zu eng und der Wunsch, einen eigenen Raum für die „Freizeitgruppe“ zu haben, wurde immer stärker. Leider war dies in der Schulstraße nicht möglich.
 
Im Frühjahr 2004 bekamen wir die Nachricht von der Stadt, dass der Rückbau in der Lerchenberg-Siedlung auch die Begegnungsstätte betreffen würde. Sie machte uns das Angebot, gemeinsam mit der Beratungsstelle und der Begegnungsstätte in ein neues Objekt zu ziehen, was an sich eine gute Idee war. Allerdings mussten wir bei der Besichtigung feststellen, dass die Räumlichkeiten nicht für Veranstaltungen des Vereins geeignet waren. So machten wir uns auf eigene Fauste auf die Suche.
Nach langen Überlegungen entschieden wir uns für ein Objekt mit (nur) drei Räumen auf etwa 120 Quadratmetern. Im Juli 2004 zogen wir ein, und standen erst einmal fast ohne Mobiliar da. Die Renovierung, die Gestaltung der Räume und der Aufbau des Bar-Bereiches wurde dann durch mehrere Arbeitseinsätze unserer Mitglieder realisiert. Viele Mitglieder und deren Familien und Freunde spendeten dabei Material wie z.B. Farben, Pinsel und Holzpanele. Als die Renovierungsarbeiten abgeschlossen waren, fehlte es allerdings immer noch an Tischen und Stühlen für den Versammlungsraum. Die Küche konnten wir mit der Zeit selbst bestücken, und durch Glück konnten wir gebrauchte Möbel einer Schule, die abgerissen werden sollte, übernehmen. So konnte dann im August 2004 pünktlich die erste Versammlung stattfinden.
 
Nach kleinem Meinungsverschiedenheiten mit unserem Vermieter im Jahr 2006 entschlossen wir uns, nach neuen Räumlichkeiten Ausschau zu halten. Die Kündigung des Mietvertrages und die Suche nach einem neuen Objekt waren natürlich wieder mit viel Aufwand verbunden, zumal alles ehrenamtlich erledigt wird. Wir hatten großes Glück, unsere jetzigen Räumlichkeiten zu finden, die deutlich größer (etwa 270m²) und für den Verein auch bezahlbar waren. Dank gilt dabei der Firma „Präger“, die uns auch einige andere Objekte angeboten hatten.
 
Das alte und das neue Gehörlosenzentrum liegen zufälligerweise nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt, so dass wir beim Umzug wenig Probleme hatten. Nun hieß es wieder renovieren, malern, einrichten und aufräumen, und wieder halfen die Mitglieder des Gehörlosenvereins mit ganzer Kraft. Das Ergebnis: acht schöne Räume, darunter ein Büroraum für den Vorstand, ein großer Versammlungsraum, und sogar ein kleines Spielzimmer für Kinder.
Seit Juli 2006 konnten wir nun schon die verschiedensten Veranstaltungen in unserem Gehörlosenzentrum durchführen. Die Stadt Wittenberg konnte uns leider finanzielle Unterstützung für Miete und Betriebskosten zusagen, unterstützt unsere Vereinsarbeit aber auf anderem Wege. Für den Erhalt des Zentrums müssen wir selber Mittel erwirtschaften–immer noch eine Ausnahme unter den Gehörlosenvereinein. In Sachsen-Anhalt gibt es keinen anderen Verein, der in Eigenregie eine Versammlungsstätte dieser Art unterhält.
 
Ein besonderer Dank gilt dabei auch Herrn Pennekamp, dem ehemaligen Leiter des Fachbereichs Soziale Stadt, leider viel zu früh verstorben. Aufgrund seiner Empfehlungen hat der Verein heute einen Gewerbeschein für unseren kleinen Ausschank, der von unseren Mitgliedern und Gästen vor allem bei größeren Veranstaltungen und Versammlungen genutzt wird. Auch in unserer Satzung wurde der Wirtschaftsbereich verankert.
 
Ebenfalls möchten wir uns ganz herzlich bei der Sparkasse Wittenberg bedanken, die uns über die Jahre mehrfach finanziell unterstützt hat. So konnten wir zum Beispiel unseren Versammlungsraum und das Büro neu einrichten und technische Ausstattung angeschaffen. Heute ist das Gehörlosenzentrum ein echtes Schmuckstück.
Nicht vergessen möchten wir unseren Freund Ulrich Petzold (MdB), Ehrenmitglied des Gehörlosenvereins Wittenberg, der immer ein offenes Ohr für unsere Probleme hat und unser Zentrum auch finanziell unterstützt.
 
Hinzu kommen viele Spenden von verschiedenen Firmen und Einzelpersonen, und natürlich die zahllosen Arbeitsstunden, die unsere Mitglieder immer wieder in ihren Verein gesteckt haben. In den letzten vier Jahren wurden von ihnen viele Renovierungsarbeiten unentgeltlich ausgeführt, wie etwa im Büroraum, rund um die Bar, im Treppenflur, und in der Küche. Auch für die rege Teilnahme am Vereinsleben gebührt ihnen unserer Dank.
 
Ich wünsche mir, dass uns das Gehörlosenzentrum noch lange erhalten bleibt, und freue mich auf die Feierstunde am 27. September 2014 aus Anlass seines zehnjähriges Bestehens.
 
Uwe Kapper, Ehemalige 1. Vorsitzender
Gehörlosenverein Wittenberg e.V.
 
 
SOLIDARITÄT mit Gehörlosen